„Nicht alle Menschen sind gleich gut auf die Arbeit in einem hybriden Umfeld vorbereitet. Die Fähigkeit, sich in einer hybriden Umgebung gut zurechtzufinden, ist an sich bereits eine wesentliche Stärke. Anders als bei reiner Büro- oder Heimarbeit erfordern hybride Ansätze von Mitarbeitenden großes Geschick – sie müssen ständig zwischen beiden Welten balancieren und navigieren.“ Harvard Business Review
Für manche ist das hybride Arbeiten nichts Neues. Bestimmte Branchen – besonders in den Bereichen Technik, Software und Rechnungswesen – praktizierten bereits erfolgreich eine Mischung aus virtueller und bürobasierter Arbeit lange bevor COVID-19 einen Strategiewechsel erzwang. Doch wo man auch hinschaut, dreht sich alles um das hybride Arbeiten: Wie sollte der ideale hybride Arbeitsplatz aussehen? Wie bewältigt man die Mitarbeiterführung in der hybriden Welt? Wie gelingt es, eine integrative hybride Arbeitsumgebung zu schaffen? Obwohl hybrides Arbeiten an sich nichts Neues ist, waren die meisten Menschen und Firmen bisher daran gewöhnt, dass jemand entweder im Büro oder zu Hause arbeitet. HR-Fachkräfte in aller Welt zerbrechen sich noch immer den Kopf über die Gestaltung von Arbeitsverträgen, über Gehaltszulagen für Städte mit hohen Lebenskosten und Hotdesking-Raumpläne. Großangelegte hybride Arbeitsmodelle – wie sie 72 % der Unternehmensleitungen einführen wollen – sind operativ sehr schwer umzusetzen. Sie sind nicht nur aus geschäftlicher und Change-Management-Perspektive schwer zu gestalten und verwalten, sondern stellen auch Führungskräfte und Mitarbeitende vor komplexe Herausforderungen. Dies befeuert die ohnehin stürmische Diskussion: Zahllose Menschen und Unternehmen suchen nach Hilfe.
In seinem Artikel über die Rückkehr an einen hybriden Arbeitsplatz warnt der vormalige Google-Personalchef Laszlo Bock davor, die Bedenken der Mitarbeitenden zu ignorieren. Er erinnert an die Erschöpfung, die viele Menschen nach dem vergangenen Jahr empfinden: „Wenn eine müde, fragile Belegschaft auf ein Führungsteam trifft, das möglichst schnell wieder auf Kurs kommen will und rapides Wachstum anstrebt, ist eine Katastrophe vorprogrammiert. Um dies zu verhindern, müssen Führungskräfte, Management- und HR-Teams einen Plan entwickeln, der die Verletzlichkeit ihrer Mitarbeitenden berücksichtigt.“ Er betont – wie auch ein Bericht von McKinsey bestätigt –, dass sich viele Menschen ausgebrannt fühlen. Dies ist allerdings nicht nur den pandemiebedingten Herausforderungen zuzuschreiben. Die Hauptursache dieses Burnouts ist die Ungewissheit über den Arbeitsplatz. Während Unternehmen über die Zukunft ihrer hybriden Belegschaft entscheiden, kämpfen die Mitarbeitenden mit Unsicherheit an vielen Fronten – über ihre Arbeitsplätze, ihre Aufgaben, ihre Teams, ihre gegenwärtigen Pläne und Zukunftschancen. Unter dieser Lawine von Existenzängsten sind Menschen begraben, die gute Arbeit leisten wollen. Um ihnen – und auch den Führungskräften, die den Übergang zum hybriden Arbeitsplatz so schmerzlos wie möglich gestalten wollen – zu helfen, haben wir fünf Kernkompetenzen identifiziert, die in der neuen Arbeitswelt den Weg zum Erfolg ebnen.
Wir alle müssen nun schon so lange so viel Resilienz beweisen, dass man das Leben inzwischen als Extremsport bezeichnen kann. Der Begriff „Resilienz“ impliziert, dass man sich eine begrenzte Zeit anstrengen muss, um dann wieder zu einer beruhigenden Normalität zurückzukehren. Das Ende dieser „begrenzten Zeit“ ist allerdings noch immer nicht abzusehen und es ist unwahrscheinlich, dass das Arbeiten in vielen Unternehmen auch nur annähernd wieder so sein wird wie vor 2020. Die wichtigste Kompetenz, die wir jetzt also brauchen, ist Ausdauer. Das Wörterbuch Merriam-Webster definiert Ausdauer als Fähigkeit, eine Anstrengung oder Leistung über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten zu können. Dabei geht es weniger darum, bis zu einer Rückkehr zur Normalität durchzuhalten, sondern vielmehr um die Fähigkeit, eine turbulente Periode hinter sich zu bringen, ohne den Mut zu verlieren. Angesichts der Tatsache, dass über die Hälfte aller Beschäftigten die Kündigung erwägen – meist aufgrund von Motivationsverlust und Burnout –, könnte Ausdauer durchaus ausschlaggebend sein, um die Belegschaft zu stabilisieren.
Ebenso wie Resilienz impliziert der Begriff Flexibilität eine letztendliche Rückkehr zu einer komfortablen Normalität – man dehnt sich und streckt sich und kehrt dann in die Ruheposition zurück. Die hybride Arbeitswelt ist jedoch von Natur aus unruhig. Die Menschen müssen zu Hause ebenso gerne und gut arbeiten können wie im Büro; sie müssen Informationen ebenso problemlos mit Teammitgliedern teilen können, die in einem anderen Land von zu Hause aus arbeiten, wie mit Kollegen am benachbarten Schreibtisch. Fluidität ist die Fähigkeit, problemlos und ohne Erschöpfung von einer Situation oder Umgebung in eine andere zu wechseln. Der Übergang in die hybride Arbeitswelt erfordert Flexibilität, seitens des Arbeitgebers ebenso wie des Arbeitnehmers.
Einer der größten Vorteile des Arbeitens im Homeoffice ist eine bessere Work-Life-Balance. Studien zeigen jedoch, dass viele Menschen in Wirklichkeit länger arbeiten, um diesen vermeintlichen Luxus wettzumachen. „Über die Hälfte der Beschäftigten, die aktuell im Homeoffice arbeiten, fürchten, dass ihre Vorgesetzten ihre Produktivität anzweifeln“, so Natalie Baumgartner, leitendende Personalwissenschaftlerin bei Achievers. „Als Ausgleich beginnen mehr als 2 von 5 Beschäftigten ihren Arbeitstag früher oder arbeiten länger, und mehr als ein Drittel verzichtet auf die Mittagspause, um den Vorgesetzten ihre Produktivität zu beweisen.“ Dieses Verhalten ist destruktiv und stammt von einem tief verwurzelten Vorurteil gegenüber der Heimarbeit. Oft hören Betroffene mehr oder weniger neckende, aber dennoch spitze Bemerkungen ihrer Kolleg*innen im Büro. In einer hybriden Arbeitswelt bedarf die Arbeit im Homeoffice jedoch keiner Rechtfertigung. Selbstfürsorge bedeutet, der Versuchung längerer Arbeitszeiten zu widerstehen und das persönliche Wohlbefinden an erste Stelle zu rücken. Menschen, die dies können – die mittags den Schreibtisch verlassen, mit ihren Kindern spielen, mit dem Hund Gassi gehen und sich außerhalb der Arbeitszeit wirklich von ihren Aufgaben lösen können –, werden am meisten von einem hybriden Arbeitsplatz profitieren.
Autonomie ist eigentlich keine Kompetenz, sondern ein Privileg, das man entweder hat oder nicht hat. Im Arbeitsleben hängt das jeweilige Maß an Autonomie größtenteils vom Aufgabenbereich und der Beziehung zu den Vorgesetzten ab; Mitarbeitende mit direktem Kundenkontakt können ihre Projekte und Prioritäten beispielsweise nur begrenzt frei wählen, weil sie laufend auf den unmittelbaren Servicebedarf reagieren müssen. Beim hybriden Arbeiten gibt Autonomie den Beschäftigten mehr Kontrolle über ihre Arbeitszeit – und zwar nicht nur darüber, wann sie Mittagspause machen oder persönliche Termine wahrnehmen. Autonomie schafft Raum für erfolgsbringende Entscheidungen im jeweiligen Arbeitsumfeld: die Arbeitsabläufe im Büro (wen müssen Sie wirklich persönlich treffen?) und im Homeoffice (wann brauchen Sie störungsfreie Zeit, um sich voll auf eine Aufgabe zu konzentrieren, und welche Ausstattung brauchen Sie, um zu Hause genauso produktiv zu arbeiten wie in der Firma?). Und Autonomie ermöglicht, sich Zeit für die proaktive Pflege von Beziehungen und den Aufbau neuer Kontakte zu virtuell arbeitenden Kollegen und Stakeholdern nehmen zu können. In der hybriden Arbeitswelt ist Passivität keine Tugend. Die Beschäftigten und ihre Leistungen sind weniger sichtbar als zuvor. Oft werden sie nicht in andere Projekte einbezogen oder um Rat gefragt, weil sie eben nicht physisch präsent sind. Unabhängigkeit und Proaktivität – die Kontrolle und Verantwortung für das eigene Profil, Arbeitsbeziehungen und die persönliche Weiterentwicklung zu übernehmen – sind die besten Voraussetzungen, um die im hybriden Modell gebotene Autonomie optimal zu nutzen.
„Hybride Umgebungen belohnen Mitarbeitende, die anpassungsfähig und flexibel denken, die ihre Arbeit in einem komplexen und dynamischen Umfeld organisieren und koordinieren können und in der Lage sind, trotz geringer Sichtbarkeit ihre Zuverlässigkeit unter Beweis zu stellen.” – Harvard Business Review
Bei virtueller Innovation geht es in diesem Zusammenhang nur begrenzt um neue digitale Technologien. Hybride Teams müssen zusammenarbeiten, um Ideen ebenso effektiv auszutauschen und umzusetzen wie ihre Kolleginnen und Kollegen im Büro. Dazu sind natürlich digitale Kollaborationstools nötig. Innovation ist jedoch auch die Kompetenz, die einen ersten Ideenaustausch, funktionsübergreifende Kooperation, Konzeptentwicklung, Einbeziehung von Stakeholdern, Prototypentwicklung, Erprobung und Weiterentwicklung umfasst. All dies wird durch das hybride Arbeiten erheblich erschwert. Projektteams befinden sich nur selten komplett im selben physischen Raum. Dies ist jedoch traditionell das Umfeld, in dem die besten Ideen entstehen. Virtuelle Kollaborationswerkzeuge fördern einen frei fließenden Ideenaustausch nicht im gleichen Maße und können auch die kreative Energie, die in einem Raum voller Menschen entsteht, kaum wiedergeben. In einer Studie stellte Microsoft kürzlich fest, dass die veränderte Kommunikation beim virtuellen Arbeiten die langfristige Innovation im Unternehmen potenziell schädigen könnte. Der Konzern räumt ein, dass der Dialog zwischen Beschäftigten weniger reichhaltig geworden ist, was wiederum die Qualität des Informationsaustauschs beeinträchtigt. Die Fähigkeit, diese Barrieren zu überwinden und die verfügbaren Tools – ob zu Hause oder in der Firma – innovationsträchtig einzusetzen, ist für die Mitarbeitenden und Teams enorm wertvoll. Technologieberater Aviv Ben-Yosef empfiehlt den Teams kleine Veränderungen, um die virtuelle Innovation zu unterstützen, beispielsweise Chat-Gespräche anstelle von privaten Nachrichten:
„Pflegen Sie eine offene Kommunikation. Senden Sie beispielsweise keine privaten Slack-Nachrichten zu arbeitsspezifischen Themen, damit alle mitreden können. Regen Sie zu Peer-Reviews und Kooperationssessions an. Das verhindert, dass die Teammitglieder den Anschluss verlieren oder vom Kurs abkommen. Der Schlüssel ist Kommunikation.“ – Aviv Ben Yosef
Einzelne Mitarbeitende können hier die Initiative ergreifen und Innovation in ihren eigenen Teams fördern, indem sie sich stärker einbringen und so weit wie möglich den offenen Dialog im Büroraum nachahmen.
Darüber hinaus erfordert die hybride Arbeitswelt zahlreiche weitere Kompetenzen, insbesondere zwischenmenschlicher Natur. Emotionale Intelligenz, effektive Mitarbeiterführung, Einflussnahme auf andere und Aufbau positiver Beziehungen waren noch nie so wichtig wie heute, besonders während des Übergangs zur zeitweiligen oder durchgängigen Arbeit im Homeoffice. Ein Team zu leiten, mit dem man täglich zusammenarbeitet und zum Mittagessen geht, ist ganz anders als die Leitung eines Teams, deren Mitglieder man möglicherweise noch nie persönlich getroffen hat. Eigentlich ist dies aber nichts Neues und diese Fähigkeiten werden auch weiterhin stark gefragt sein. Die fünf Kompetenzen Ausdauer, Fluidität, Selbstfürsorge, hybride Autonomie und virtuelle Innovation sind hingegen noch weniger bekannt.
Die Unternehmensberatung McKinsey hat Führungskräfte auf Vorstandsebene nach ihren Erwartungen für die Zukunft der Arbeitswelt befragt. Nur 10 % der Befragten gehen nun davon aus, dass die Beschäftigten mehr als 80 % ihrer Arbeitszeit im Büro verbringen werden. Vor Covid-19 waren dies noch 99 % der Führungskräfte. Diese Wende ist nur einer der Gründe, warum wir derzeit Neuland betreten – ein Terrain, das neue Kompetenzen verlangt. Während wir uns an das hybride Arbeiten gewöhnen, müssen wir alles nutzen, was uns den Übergang, die Orientierung und den Erfolg erleichtert, bis der hybride Arbeitsplatz zur Norm geworden ist.
* Insights ist ein globales Personalentwicklungsunternehmen, das seit fast 30 Jahren Lernlösungen für Einzelpersonen, Teams und Führungskräfte anbietet. Im Mittelpunkt unserer Lösungen steht die Selbstkenntnis – die Grundlage für zahlreiche Soft-Skills wie Resilienz, Kommunikation, Kooperation und Führungskompetenz. Unsere Teams sind in aller Welt verteilt und helfen unseren Kunden, die Kommunikation zwischen Mitarbeitenden virtuell und direkt aufrechtzuerhalten und sich auf ungewohntem Terrain zurechtzufinden. Mehr erfahren Sie unter www.insights.com